Herzlich Willkommen auf Büchermeer! Dieser Blog existiert seit Oktober 2014 und wird seitdem manchmal mehr und manchmal weniger intensiv - aber immer mit viel Liebe - geführt! Ich bin Julia - 21 Jahre alt und vor zwei Jahren auf der Reise durch die Eskarpaden des Bildungssystems in Schleswig-Holsteins Landeshauptstadt Kiel an der Ostsee gelandet. Während meinen Busfahrten zur Uni (und wieder zurück nach Hause) begleiten mich das gedruckte und digitale Wort fast immer. Auf meinem Blog versuche ich, durch Rezensionen regelmäßig über meine Leseerfahrungen zu berichten. Du willst mehr von mir erfahren? Kein Problem! Dann klicke doch einfach hier! Ach ja: man findet mich übrigens auch auf Instagram, wo es allerhand zu sehen gibt. ;)

Jojo Moyes - Ein ganzes halbes Jahr


Inhaltsangabe
Louisa Clark hat ihren Job in einem kleinen Café verloren. Sie hat keine Ausbildung und nicht wirklich eine Vorstellung von dem, was sie machen möchte. Nur widerwillig nimmt sie eine auf ein halbes Jahr befristete Stelle zur Pflege von Will Traynor an, der seit einem Unfall im Rollstuhl sitzt – denn sie hat keine andere Wahl. Ihre Eltern sind auf ihr Gehalt angewiesen, denn ihre Mutter pflegt ihren senilen Vater. Ihr Vater steht kurz davor, seinen Job zu verlieren. Und ihre jüngere Schwester musste wegen ihrer Schwangerschaft vor fünf Jahren ihr Studium abbrechen und lebt seither für ihren Sohn Thomas. Doch immer und immer wieder möchte sie ihre Stelle aufgeben, denn Will ist in ihren Augen eine unmögliche Aufgabe – er spricht nicht gerne, ist unausstehlich und diskriminiert Louisa, wann immer sich eine Möglichkeit ergibt. Doch langsam aber sicher lernt Louisa Will kennen. Ihn und seine Krankheit. Und das dunkle Geheimnis rund um ihn und ihre Arbeitsstelle..


Rezension
Es fällt dem – weiblichen – Leser nicht schwer, sich mit Louisa Clark zu identifizieren. Die Engländerin ist eine junge Frau, die kein rechtes Ziel vor Augen hat. Wie viele andere hat sie keine Traumkarriere, weiß nicht, wo sie am Ende ihres Berufsleben angekommen sein möchte. Als sie ihren Job in einem kleinen Café verliert, ist sie nicht sicher, was sie mit sich anfangen soll und nimmt widerwillig eine Pflegestelle an, die ihr vom Jobcenter angeboten wird. Louisa wohnt noch bei ihren Eltern, die auf sie angewiesen sind, da sie ohne ihr Gehalt nicht über die Runden kommen. Dies schränkt sie ein – selbst, wenn sie wüsste, was sie mit ihrem Leben anstellen sollte, hätte sie dazu keine Möglichkeit, wenn sie sich nicht aus den Griffen ihrer Eltern wohnt. Louisa ist eine durchschnittliche junge Frau in einer mittlerweile eingeschlafenen, seit sieben Jahren währenden Beziehung. Die Protagonistin ist eine Frau von nebenan, ein Charakter, den man in unserer Welt an vielen Ecken treffen kann. Die Ich-Perspektive, aus welcher der Roman heraus geschrieben wurde, verstärkt die Identifikation nur noch weiter. Die Gedankenwelt der Louisa Clark wird uns deutlich geschildert, ebenso ihre visuellen Eindrücke und Gefühle. Somit wird gewährleistet, dass der Leser schnell einen Zugang zu der Geschichte findet.

In fünf Kapiteln tritt der Fall ein, dass diese aus den Perspektiven anderer Charaktere erzählt werden, um die Komplexität der Geschichte etwas verständlicher zu machen. Denn Ein ganzes halbes Jahr ist nicht nur ein Roman über die Liebe, sondern ein Buch, das eindrücklich das Leben in einem Rollstuhl schildert. Beinahe ein Sachbuch in Form eines Romans. Das Besondere ist, dass die eigentliche Liebesgeschichte erst im letzten Viertel des Buches beginnt, zuvor werden Louisa und der Leser mit der Krankheit Wills, den Einschränkungen und möglichen Folgen vertraut gemacht. Stück für Stück lernen Erzählerin und Leser mehr über den Menschen Will, sein Leben vor seiner Behinderung kennen und seine Familie. Man lernt etwas über die Reaktionen der Umwelt auf den Rollstuhl und die Tetraplegie ( eine Form der Querschnittslähmung). Und man lernt verstehen. Nicht nur die Sachverhalte der Behinderung, sondern auch die abweisende, kühle Art des anfangs unsympathischen Will und seiner Familie. Und den Weg, den Will gehen möchte. Mit diesem Weg wird auch zugleich eine wichtige, gesellschaftliche und medizinische Debatte aufgegriffen. Sterbehilfe.

Jojo Moyes hat eine unglaublich komplexe Charakterlandschaft erschaffen, in die man sich jedoch leicht einlesen kann. Jeder einzelne Charakter durchlebt in diesem Roman seine ganz persönliche Entwicklung. Hinter jedem von ihnen steht eine Geschichte, ein Antrieb, der ihn zu seinem Handeln bewegt. Ein ganzes halbes Jahr ist nicht nur eine Lehre über den Umgang mit körperlich eingeschränkten Menschen, sondern auch über die gegenseitige Hilfe, die wir einander geben können. Nicht nur körperliche Hilfe, sondern Hilfe bei dem Finden unseres Selbst. Bei dem Erfüllen unserer Träume und Wünsche. Allein kann kein Mensch existieren und den richtigen Weg finden. Ganz gleich ob Einschränkung oder nicht.

Zum Abschluss einige Worte zum Cover, welches mich wirklich sehr berührt und hin und wieder meinen Blick auf sich zieht, obwohl ich das Buch schon längst aus der Hand gelegt habe. Es ist recht simpel doch berührend. Man sieht die Silhouette einer jungen Frau, die die Silhouette einer Taube aus ihrem Griff freigibt und gen Himmel fliegen lässt, umringt von roten Blüten. Wer Ein ganzes halbes Jahr bis zum Schluss gelesen hat, kann einen Bezug zu diesem Cover herstellen. Doch auch ohne diesen Bezug wirkt die Abbildung vielversprechend.

Fazit
Ich habe noch nie ein Buch gelesen, bei dem ich in diesem Maße mit der Protagonistin mitfühlen konnte. Jede einzelne Empfindung konnte ich wahrnehmen und nachvollziehen und die teils kräftigen Gefühlsausbrüche haben mich so mitgerissen, dass ich nicht anders konnte als die ein oder andere Träne zu verdrücken. Ein ganzes halbes Jahr ist spannend bis zum letzten Kapitel – generell wird ein riesiger Spannungsbogen verarbeitet, der sich am Ende passend entlädt. Ein Roman, der Hoffnung schenkt. Ein ganzes halbes Jahr stellt indirekt sehr viele Fragen und lädt den Leser zum Nachdenken ein. Und wer nach dem Beenden des Romans nicht intensiv über Rollstuhlfahrer und die Debatte um Sterbehilfe nachdenkt, der hat beim Lesen etwas falsch gemacht.

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